Rabbi Jerucham Halevy Levovitz aus Mir

Datum: | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Rabbi Jerucham Halevy Levovitz

Rabbi Jerucham Halevy Levovitz aus Mir (5635-5696 / 1875-1936) war ein herausragender Denker, Lehrer und einer der spirituellen Führer der Mussarbewegung. Er war ein Schüler der Gründer der Mussarbewegung Raw Simcha Sissel Siv (Saba aus Kelm) und Raw Natan-Zwi Finkel (Saba aus Slobodka).

Nach seiner Heirat lernte er weiter in Kelm, um seine Talmudkenntnisse weiterzuentwickeln. Im Jahr 5666/1906, im Alter von 30 Jahren, wurde Raw Jerucham zum Maschgiach der Jeschiwa von Radin, die von Rabbi Israel Meir Hakohen (Chafetz Chaim) gegründet wurde.

5668/1906 wurde Raw Jerucham als Maschgiach in die kleine Jeschwia des Städtchens Mir eingeladen.

Zur Zeit des ersten Weltkrieges blieb er in der litauischen Zone zurück, die von den deutschen Soldaten okkupiert wurde, während die Jeschiwa von Mir in die ukrainische Stadt Poltava evakuiert wurde. In 5683 / 1923 kam er zurück in seine Jeschiwa nach Mir. Dank seinem Einfluss erregte die Jeschiwa Aufsehen, Hunderte von neuen Schülern kamen und sie wurde weltweit zu einem der wichtigsten Zentren des Torastudiums.

Raw Jerucham entwickelte die Ideen seiner Mentoren bis zu einem kompletten, allumfassenden ethischen System.

Er lehrte, dass um Haschem zu erfahren, der Mensch die Tora tiefgründig verstehen muss. “Die Heilige Tora wurde dem jüdischen Volk nur dafür gegeben“, erklärte er, „damit die Juden mit ihrer Hilfe Haschem maximal erfahren und sich an Ihm „kleben“ können.

… Jedoch, wie kann der Mensch Haschem, der auch Tamir (verborgen) und Neelam (unbekannt) genannt wird, erfahren, wenn er es nicht schafft, selbstständig in die verborgenen Tiefen der Tora einzudringen?… Mit anderen Worten, nur jemand, dessen Bewusstsein komplett gereinigt und frei von Hindernissen ist, die die Wahrnehmung verzerren, kann Haschem erfahren.“ (Daat chochma umusar T.3, S.279).

Raw Jerucham wiederholte immer wieder: „Der beste Kommentator der Tora für den Menschen ist er selbst.“ (end. T.1, S.23). Diesen Paradox erklärte er wie folgt: „ Durch die Selbsterkenntnis der eigenen spirituellen Natur ist der Mensch fähig die höchsten und verborgensten Geheimnisse der Tora zu verstehen. Denn er wurde nach der in ihr enthaltenen Anweisung erschaffen; in ihr steckt seine Essenz. Der Mensch ist dazu fähig, die ganze Tora in seiner Seele zu erwerben, so wie unser Vorvater Avraam „die ganze Tora in sich selbst erfuhr“ (Bereschit Raba 95:3) – „…als er seine Seele erkannte, erkannte er auch seinen Erschaffer“ (Daat Chochma Umusar T.1, S. 23)

Raw Jerucham erweckte in seinen Schülern das Streben zur Selbsterkenntnis und gleichzeitig warnte er sie immer wieder: „Nor nit kriechen in Himmel“. Damit meinte er, dass ein Mensch, der bestrebt ist, sich G-tt zu nähern, oft seine irdischen Verpflichtungen vergisst; „Sachen, die im menschlichen Miteinander notwendig sind, und Hilfestellung für andere Menschen scheinen ihm eine Verschwendung der Zeit zu sein, welche er dem Torastudium hätte widmen können.“ Diese Art von seelischer Blindheit nennt er „in den Himmel kriechen“. (R. Schlomo Wolbe, Alei Schur T.2, 26).

Die Grundlage der spirituellen Arbeit an sich selbst war für Raw Jerucham die Vervollkommnung der Charaktereigenschaften.

„Viele Menschen denken, dass sie nur dann die innere Ruhe erreichen, wenn sie alle ihre Begierden befriedigen – hob Raw Jerucham hervor, – dies ist ein absoluter Irrtum. Im Gegenteil, je mehr sich der Mensch seinen Launen hingibt, desto mehr wird in ihm der Flamme eines inneren Konfliktes entfachen, denn das Geheimnis des inneren Friedens zwischen Seele Körper besteht darin, seine Triebe zu bezwingen. Unsere Weisen beschrieben dies wie folgt (Sukka 52b): „Der Mensch hat ein kleines Organ, lässt man es hungern, ist es satt; sättigt man es, hat es Hunger.“ Und auch (Kohelet Raba 1:13): Die Welt hat noch nie einen Menschen gesehen, der es schaffte, zumindest die Hälfte seiner Wünsche zu erfüllen.“ (Daat Hochma Umussar T.2, S.85).

Raw Jerucham teilte mit seinen Schülern seine eigenen Erfahrungen spiritueller Arbeit, die er bereits in seiner Jugend begonnen hatte. „Als ich meine Taten und meinen seelischen Zustand analysierte, erkannte ich, dass ich mir nicht gehörte, sondern nur ein Spielzeug Anderer war, – erzählte er. – Diese „Anderen“ waren meine eigenen Wünsche, die konstant über mein Herz herrschten. Vielmehr, diese Begierden bestachen ständig mein Denken, indem sie es zu den für sie günstigen Schlussfolgerungen führten. Da fing ich an zu lernen, wie ich es erreichen kann, mein Bewusstsein über die Triebe herrschen zu lassen. Ich entschloss mich dafür, täglich mindestens fünf Taten entgegen meinen Trieben zu tun … und verhängte für die Nichteinhaltung die Strafe von 10 Kopeken (ibid. T.1, S.9).

Der große Unterschied zwischen einem Gerechten und einen Sünder, – lehrte Raw Jerucham, – besteht nicht darin, dass der eine die Gebote erfüllt und der andere sündigt, denn so wie der Gerechte kann durchaus stolpern und sündigen, so kann auch der Sündiger unter günstigen Umständen so viele Gebote wie die Anzahl der Kerne in einem Granatapfel erfüllen. Der große Unterschied besteht darin, dass der Gerechte aus allen Kräften seinen Begierden widersteht, während der Sündiger ihnen widerstandslos nacheilt.” (Alei Schur 2, S.182).

Raw Jerucham lehrte, dass genau in diesem den Gerechten eigenen G-ttesdienst, bei dem alle Kräfte investiert werden, „das Geheimnis aller Wunder steckt“. Seiner Meinung nach „erreicht der Mensch, der selbstlos dem Erschaffer dient und darin alle Kräfte bis zum letzten Tropfen investiert, ein übernatürliches Niveau und verdient es, Wunder zu sehen“ (Daat Chocham Umusar 1, K.1,3).

Der höchste Punkt der spirituellen Entwicklung eines Menschen sei, laut Raw Jerucham, der selbstgewollte Austritt aus der freien Wahl. Wenn das Herz des Gerechten so von der Liebe und Furcht vor Haschem erfüllt ist, dass bei der Entscheidungsfindung die Varianten, die gegen Seinen Willen gehen, nicht mehr in Frage kommen. „Das Ziel der freien Wahl besteht darin, so ein Niveau zu erreichen, dass der Mensch sich „gezwungen“ fühlt nur Gutes zu tun. – sagte Raw Jerucham. (Alei Schur 2, S.102).

Raw Jerucham Levovitz aus Mir starb am 18. Siwan 5696 / 1936.

Die Mitschriften seiner Lehren wurden von seinen Schülern in den Büchern Daat Hochma Umusar und Daat Tora gesammelt.

Aus dem Buch “Unsere Weisen”, mit Erlaubnis von Raw Zwi Wasserman

Übersetzung von Orli Krief

TEILEN

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT