Wochenabschnitt Noach – Der Unterschied zwischen Noach s und Awrahams Generation

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Noach

Kaum zehn Generationen bestand die Erde, da waren die Menschheit und die Erde selbst beide moralisch derart verdorben, dass sie ihr Existenzrecht verloren hatten.

Hkb“H bestrafte sie durch die ‘Mabul’ (Sintflut).

Aber auch nach der Mabul stand es um die Welt fast weitere zehn Generationen lang schlecht. Chasal drücken sich darüber so aus: „Die Welt besteht 6000 Jahre; zweitausend Jahre waren wüst, in den nächsten zweitausend Jahren wurde die Torah gegeben und die letzten zweitausend Jahren sind eine Vorbereitungszeit zum Kommen des Moschiachs“[1].

Unsere Weisen sZl. bezeichnen die ersten 2000 Jahre als „tohu – wüst“, aber warum eigentlich? Es gab doch in diesen Jahren auch einige grosse ‘Zadikim’ wie Adam, Chanoch, Metuschelach, Noach und Schem?

Dies beantworten uns Chasal in den Pirke Awot: „Zehn Generationen waren es von Adam bis zu Noach, um die Langmut G‘ttes bekannt zu geben, denn alle Geschlechter erzürnten Ihn bis Er über sie das Wasser der Mabul brachte. Zehn Generationen waren es von Noach bis zu Awraham, um die Langmut G‘ttes bekannt zu geben, denn alle erzürnten Ihn, bis Awraham Awinu kam und sich den Lohn aller erwarb“[2].

Die ersten 2000 Jahre der Menschheit waren deshalb „wüst“, weil die Menschen ihre Aufgabe nicht erfüllten, und stattdessen Haschem erzürnten. Was fehlte und was genau ihre Pflicht war, können wir aus der besonderen Leistung von Awraham lernen, der den für all diese Generationen vorbereiteten Lohn für sich erworben hatte: Awrahams Eigenschaft war die Mida (Charaktereigenschaft) von „Chesed“; er machte Gnade und Güte mit seinen Mitmenschen und lehrte sie dadurch die „Emuna“, den Glaube an Hkb“H.

Dieser „Chesed“ fehlte 2000 Jahre lang auf der Welt und wurde erst durch Awraham Awinu nachgeholt!

Dieser Chesed, sich um seine Mitmenschen zu kümmern und sie materiell und geistig zu unterstützen, war die eigentliche Vorbereitung auf die 2000 Jahren der „Torah“, wie es in der Mischna heisst: „Im en Derech Erez, en Torah – ohne Weltsitte keine Torah“[3]. Die Torah kann nur dann existieren und richtig erfüllt werden, wenn Menschen einander helfen und unterstützen. Es beginnt mit der finanziellen Unterstützung von ‘Talmide Chachamim’ (Gelehrte der Torah), damit sie zuerst ungestört Torah lernen können und diese danach anderen vermitteln können, also ebenfalls „Chesed“ im geistigen Sinn ausüben können, weil sie ihre Mitmenschen den G‘ttesdienst erleichtern, indem sie ihnen Torah lehren und den „Kijum haMizwot“ (Erfüllung der Gebote) erklären.

Der Zadik Noach lebte genau in der Mitte dieser 20 Generationen und bildete die Verbindung der Menschheit vor und nach der Mabul.

Obwohl die Torah Noach als „Zadik“ bezeichnet, „jesch Dorschin liGnai“, legen es manche als Kritik an ihm aus: Er war nur im Verhältnis zu seiner Generation „gerecht“, hätte er aber in der Generation von Awraham Awinu gelebt, so wäre er für gar nichts gerechnet worden!“[4]

Alle wundern sich über diese Behauptung: Warum sollten wir so etwas von Noach annehmen und sein von der Torah bestätigtes „Zidkut“ (Rechtschaffenheit) schmälern? Deshalb erklärt der Diwre Schmuel von Slonim sZl., dass sich diese „jesch Dorschin liGnai“ auf Noach selbst beziehen; er “verleumdete” sich selbst und behauptete von sich: „Ich bin unwürdig und kann meine Mitmenschen nicht beschützen!“

Dies war der Unterschied zwischen Awraham Awinu, der zum Stammvater unseres Volkes auserwählt wurde, und Noach, der zum Stammvater aller 70 Völker wurde.

Awraham war ein selbstsicherer Kämpfer, der unnachgiebig und kompromisslos für G‘tt und die Torah kämpfte. So gelang es ihm, im letzten Moment die bisher nicht erfüllten Vorbereitungen zu „Matan Torah“ (zur Übergabe der Torah an Jisrael) zu erfüllen. Mit seiner ‘Midat haChessed’ stellte er den bisher fehlenden „Derech Erez“ her und zwar im zweifachen Sinn: Einerseits übte er ‘Weltsitte und Anstand‘ gegenüber seinen Mitmenschen, indem er ihnen eine reine Sitte und Moral vorlebte und sie seinen zahlreichen Schülern lehrte. Zugleich übte er diesen ‘Derech Erez’ auch gegenüber Haschem aus, denn er führte Seinen Willen aus und verband die Menschen mit Ihm.

Noach hingegen lernte zwar selbst Torah[5] und führte den Willen von Haschem aus, er vermittelte diese aber nicht an seinen Nachkommen, den 70 Völkern, weil er ihre Voraussetzung, den „Derech Erez“, nicht geschaffen hatte. Schlussendlich verblieben die Völker mit nichts; sie besitzen weder Torah, noch Weltsitte, denn beide hängen zusammen und sind voneinander abhängig: „Ohne Derech Erez gibt es keine Torah, und ohne Torah gibt es (auch) kein Derech Erez!”[6]

  1. Sanhedrin 97a
  2. Awot 5,1-2
  3. ibid. 3,21
  4. Raschi 6,9 gemäss Bereschit Rabba 30,9 und Sanhedrin 108a
  5. Siehe Raschi 7,2 und Midrasch Tehilim 1,12
  6. Awot ibid.

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