Wochenabschnitt Bamidbar – Zählen – Integration des Einzelnen in der Gemeinschaft

Datum: | Autor: Rav Chaim Grünfeld | Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag
Zahl

„Parschat Bamidbar“ wird jedes Jahr vor „Schawuot“ geleint und ist daher eng mit dieser Jahreszeit verbunden.

Die Themen der Parschat Bamidbar, die Zählung der Bne Jisrael, die Anordnung ihrer Lager und Stämme (‘Degalim‘) ist mit der Aufgabe der Omer-Tage vergleichbar, bei der Jisrael sich täglich mit dem Zählen befasst und so auf „Matan Tora“ (Übergabe der Tora) vorbereitet.

In der Regel gilt „Zählen“ als keine gute Sache, da es die „Beracha“ und Fruchtbarkeit mindert.

Denn überall, wo eine genaue Zahl angegeben werden kann, wird die Sache dadurch begrenzt und eingeschränkt. Es gibt jedoch zwei Gründe, weshalb eine Sache gezählt wird: a) Um sich mit der Größe und Anzahl seines Besitzes etc. rühmen zu können, und b) um die Kontrolle darüber zu behalten.

Wer sein Geld und Vermögen zählen lässt, damit er sich an dessen Größe erfreuen kann, begrenzt die Beracha. Geschieht dies jedoch um alles unter seiner Kontrolle zu haben, damit er seine Abgaben, wie z. B. Teruma an den Kohen, „Kessef-Ma’assar“ (den Zehnt) für Zedaka etc., machen kann, so stellt das Zählen keine Gefahr dar.

Deshalb gab es keine Probleme mit dem häufigen Zählen der Bne Jisrael oder der Spenden-Abrechnungen beim Bau des Mischkans, weil dies zur Kontrolle des Einzelnen geschah und nicht aus Freude am Besitz der Masse.

Der Klall Jisrael wird immer mit den vielen „Sternen des Himmels“ oder dem „Sand des Meeres“ verglichen und so gebenscht (gesegnet).

Die Sterne sind eine riesige Menge einzelner Dinge, die durchaus gezählt werden können, die aber den Zählenden vor eine immense Aufgabe stellen. Die Sandkörner bilden jedoch eine einzige Masse, die unmöglich gezählt werden kann.

Durch den Vergleich mit den Sternen wird die Wichtigkeit und Persönlichkeit jedes einzelnen Jehudi im Klall Jisrael hervorgehoben. Obwohl sie zahlreich sind, wird dennoch jeder Einzelne für sich gezählt und von Haschem mit „Haschgacha pratit“ kontrolliert.

Durch den Vergleich Jisraels mit dem Sand des Meeres wird es als eine auf natürliche Weise unzählbar, und aus menschlicher Sicht unkontrollierbare Masse dargestellt, deren Beracha unbegrenzt und von keiner natürlichen Gewalt eingeschränkt ist.

Somit wird der Widerspruch in der dieswöchigen „Haftara“ beantwortet (Hoschea 2,1):

„Die Zahl der Bne Jisrael wird wie der Sand des Meeres sein, der unermesslich und unzählbar ist“. Chasal fragen darauf: „Zuerst spricht der Passuk von einer „Zahl der Bne Jisrael“, folglich sind sie zählbar. Danach sagt er jedoch, dass sie „unermesslich und unzählbar“ sind? Sie antworten, dass sich Ersteres auf die Zeit bezieht, in der Jisrael nicht den Willen von Hkb“H erfüllt. Dann verdienen sie keine Beracha und verfügen daher nur über eine begrenzte „Zahl“. Wenn sie aber den g’ttlichen Willen erfüllen, sind sie unzählbar[1].

Nach dem bisher Gesagten könnte der tiefere Sinn vielleicht so verstanden werden: Der Klall Jisrael hat natürlich immer eine Zahl, denn jeder Jehudi verkörpert eine Welt für sich und ist wichtig. Er wird daher von Haschem genauestens kontrolliert und seine Taten werden abgewogen. Hingegen in Bezug auf die Masse des Klall Jisrael, verliert jeder einzelne Jehudi seine eigene Zahl und Bedeutung und verschmilzt zu etwas Ganzem – zu einer riesigen, unbegrenzten Masse, die aus menschlicher Sicht unzählbar ist.

Aus diesem Grund betonen Chasal an zahlreichen Stellen den Vorteil der Integration jedes Einzelnen in den ‘Zibbur‘ (Gemeinde).

Wer alleine dasteht, gibt sich der messbaren Kontrolle preis, und dessen Taten können von jedem gezählt werden. Der Einzelne gleicht daher den zählbaren Sternen, der nur dann von Bedeutung ist, wenn er wie ein Zadik leuchtet und etwas Besonderes darstellt.

Erfüllt er jedoch nicht dem Willen von Hkb“H, so kann er nur dann bestehen, wenn er sich inmitten der Menge des jüdischen Volkes befindet, und sich mit ihrer unzählbaren Masse von Taten und Leistungen verbindet. Der ‘Zibbur‘ gleicht daher der unzählbaren Masse des Meersands, dessen einzelne Sandkörner unwichtig und wertlos sind, zusammen jedoch ein festes Gebilde darstellen.

Beim „Omer-Zählen“ wird nicht wie üblich auf das zukünftige Ziel hin gezählt: „Heute sind es soundso viele Tage bis zu Matan Tora“, sondern im Rückblick auf die Vergangenheit – zum bereits, dargebrachten „Korban Omer“. Denn mit „Sefirat haOmer“ zählen wir nicht unsere Leistungen und erworbenen Besitz – „wir haben uns bereits soundso viele Tage zu ‘Matan Tora‘ vorbereitet“. Ein solches Zählen wäre unwürdig und unfruchtbar! Vielmehr kommt unserem Omer-Zählen die Funktion der Eigenkontrolle zu: „Schon soundso viele Tage sind nach dem Omer vergangen – und wo stehen wir mit unseren Vorbereitungen?“

Deshalb genügt auch nicht die einfache Zahlenangabe der Omer-Tage 20 oder 21. Zur richtigen Kontrolle gehört die genaue Definition der Tage: in der wievielten Woche des Omer ist man und der wievielte Tag dieser Woche ist es. Denn hier geht es um die Kontrolle des eigenen „Ichs“, um die Wichtigkeit und Bedeutung jedes einzelnen Tages von Omer und nicht um die Menge und Masse.

Genauso verhielt es sich mit den Lagern und Stämmen der Bne Jisrael.

Jeder Jehudi hatte seinen genauen Ort wo er hingehörte, seinen Stamm und seine Familie. Jede Person wurde gezählt und war als einzelne wichtig, damit sie sich der von ihrer verlangten Aufgabe bewusst wird. Jeder besitzt seine eigene Pflicht und Aufgabe im Leben, die ihm niemand abnehmen kann!

Ist man aber fertig mit dem Omer-Zählen so geht jeder aus seinem Zelt und Lagerstätte hinaus und vereinigt sich für die jährliche ‘Kabbalat haTorah‘ mit dem ganzen Klall Jisrael.

Genauso wie der Bne Jisrael sich beim Berg Sinai vereinten und die Torah „ke’Isch Echad beLew Echad“ empfingen, ist die Arbeit jedes Einzelnen äußerst wichtig, sie bildet schlussendlich aber nur den Teil eines großen Ganzen.

Vielleicht erinnert uns der Minhag des (zusätzlichen) „Milchig-Essen“ am Schawuot an diese Aufgabe. Das Fleisch wird nicht als „Masse“ gegessen, sondern in seine einzelnen Teile zerlegt. Hingegen erfolgt der Genuss von Milchprodukten in der Masse; die Milch wird nicht in einzelnen Tropfen getrunken, Käse, Butter und Joghurt entstehen nur durch die geronnene Masse und werden auch so verspeist. Die Aufgabe des Jom Tov ‘Schawuot‘, ist die Integration der Einzelnen Jehudi in der Mitte der Gemeinschaft – „uBa’u kulam biBrit jachad, Na’asseh weNischma amru ke’Echad“ (alle kamen zum Bund zusammen, und riefen „Wir werden Tun, wir werden Hören“ wie aus einem Mund zusammen)[2].

  1. Joma 22b
  2. Strophe aus dem Lied ‘Jom Schabaton’ (Semirot Jom Schabbat)

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