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Wochenabschnitt Mezora – Unmögliches Leben

„Sot tihje Torat haMezora beJom Taharato – Dies ist die Lehre des Aussätzigen am Tag seiner Reinigung…“ (14,2)

Im Midrasch wird dazu ein Passuk aus Tehilim (34,13) zitiert: „Mi ha’Isch heChafez Chajim – Wer ist der Mann, der Leben begehrt, der Tage liebt, Gutes zu schauen?“ und erzählt folgende Geschichte: „Ein Händler wanderte in den Städten, die sich neben der Stadt Zipori befanden, umher, und rief aus: „Wer möchte ein Heilmittel fürs Leben kaufen?“ Als dies Rabbi Janai hörte, ließ er ihn zu sich rufen und bat ihn: „Verkaufe mir dich bitte dein Heilmittel“. Doch zu seiner Verwunderung lehnte der Händler ab und meinte: „Du und deinesgleichen benötigen mein Mittel nicht!“ Erst als Rabbi Janai ihn bedrängte, zog er ein Sefer Tehilim hervor und zeigte ihm diese Psukim: „Wer ist der Mann, der Leben begehrt…? Nezor leSchoncha meRa – Bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen davor, Hinterlist zu reden“.

Rabbi Janai meinte dazu später: „Alle meine Tage las ich diese Psukim und verstand sie nicht, bis ich diesen Händler traf, der „Welcher Mann möchte leben?“ ausrief.

Der Midrasch führt weiter aus und erklärt: „Deshalb warnt Mosche Rabenu die Bne Jisrael: „Dies ist die Tora des Mezora“, damit ist die Lehre des „Mozi Schem Ra“ [des Verleumders, der seine Zunge nicht hütete] gemeint“[1] [1].

Alle Meforschim wundern sich über Rabbi Janais Worte: Was hatte er von diesem Händler gehört, das er bisher nicht wusste?

Der bekannte Mussar-Prediger Rabbi Hilel Lichtenstein von Kolomea sZl. (gest. 5651/1891), kam einmal nach Tschernowitz und wollte dort, wie er es gewohnt war, den Jehudim der Stadt eine Mussar-Drascha halten. Er war sich aber der negativen Einstellung der Ba’ale Batim gegenüber einer solchen „Standpauke“ bewusst und ließ daher überall Plakate anschlagen, die die Aufschrift trugen: „Ich kam nach Tschernowitz, um die Erlaubnis der Heirat einer zweiten Ehefrau zu verkünden!“ Es versteht sich von selbst, dass die Schul noch vor der angegebenen Zeit voll war. Niemand wollte sich einen solch unerwarteten „Heter“ (halachische Erlaubnis) entgehen lassen!

Rabbi Hilel begann sofort mit einer feurigen Mussar-Drascha, sodass den Versammelten Hören und Sehen verging. Der begabte Maggid wusste die Gelegenheit am Schopf zu packen und die Jehudim der Stadt auf verschiedene Dinge aufmerksam zu machen, die sie leider bei der Erfüllung der Tora und Mizwot vernachlässigten. Nach zwei Stunden ging ein leises Raunen durch die Menge. Die Leute fühlten sich von Rabbi Hilel betrogen und dachten, dies wäre nur eine List von ihm gewesen, um ihnen gehörig Mussar zu predigen.

Da rief Rabbi Hilel plötzlich aus: „Ich muss jetzt mein Wort halten, euch die Heirat von zwei Frauen zu gestatten. Nun, ihr sollt wissen, Rabbotai, nicht nur, dass diese Heirat erlaubt ist, viel mehr sage ich euch, dass jeder von euch sogar verpflichtet ist, zwei Frauen zu heiraten! Eine als gewöhnliche Ehefrau und die andere, unsere heilige Tora, die mit einer „Kalla“ verglichen wird!“

Auch der in unserem Midrasch erwähnte „Händler“ war ein solcher Mussar-Prediger (Mochiach/Zurechtweiser), der dem einfachen Volk einige Mussar-Gedanken ans Herz legen wollte. Damit ihm die Leute zuhörten, musste auch er zu einer solchen List greifen und vermarktete seine Lehre in Form der Anpreisung eines Wundermittels, das die Menschen am Leben hält. So konnte er viele Leute auf die grosse Sünde von „Laschon haRa“ und „Mozi Schem Ra“ (Verleumdungen/Diffamierung) aufmerksam machen.

Durch ihn verstand Rabbi Janai endlich den Passuk, um dessen Erklärung er sich schon sein ganzes Leben lang bemüht hatte. Was möchte der Passuk in Tehilim mit der Frage „Wer ist der Mann, der Leben möchte“ sagen? Er könnte uns die wichtige Aufforderung von „Hüte deine Zunge vom Bösen“ auch so mitteilen, ohne diese rhetorische Frage zu stellen?

Der Händler belehrte Rabbi Janai, dass Dawid haMelech in diesem Passuk das Thema von „Schmirat haLaschon“ (Hüten der Zunge) wie ein Händler anpackt, der mit einer schwer verkäuflichen Ware umherwandert. Schwer verkäuflich wegen der Vorurteile der Kunden: „Was soll ich mit dieser Ware? Hier sind Sie an der falschen Adresse, niemand ist daran interessiert!“

Warum? Weil die Schwierigkeit der Ausführung von „Schmirat haLaschon“ den Menschen blendet. Er denkt sich: „So kann man kein normales Leben mehr führen! Man kann ja nicht mehr miteinander reden!“ Doch Dawid haMelech, fragte die Leute zurück: „So, ihr möchtet ein normales Leben führen? Wieso möchtet ihr den überhaupt leben? „Mi ha‘Isch heChafez Chajim“ – wer ist der Mensch der wirklich leben möchte? „Nezor leSchoncha meRa“ – dann bewahre deine Zunge von Laschon haRa und Verleumdungen, da man nur auf diese Art Leben kann!

Man muss den Menschen zu verstehen geben, erklärte der Chafez Chajim sZl., dass es gar keine Schwierigkeit gibt, mit „Schmirat haLaschon“ zu reden und zu leben. Vielmehr verhält es sich umgekehrt – ohne diese Schutzmassnahme kann man nicht leben!

Sot tihje Torat haMezora beJom Taharato“, dies ist die Lehre, die der Mezora am Tag seiner Reinigung lernen soll. Er soll aus seiner ihm widerfahrenen Strafe lernen, dass richtiges Leben nur mit „Schmirat haLaschon“ möglich ist. Ohne diese muss er draußen alleine ohne irgendeinen Gesprächspartner sitzen, nicht einmal mit einem zweiten Mezora, einem zweiten Ba’al Laschon haRa, darf er einen Wortwechsel führen. „Badad jeschew“, alleine soll er sitzen und seine Lippen sollen verhüllt sein, nur „Tame, Tame – Unrein, unrein“ soll er rufen (13,45-46). Der Mezora muss einsehen, dass er, der ein Leben ohne „Laschon haRa“ unbequem oder gar unmöglich findet, unrein ist! Wer grenzenlos und über jeden und alles, so wie es ihm gerade passt, spricht, verliert am Ende sogar seine Freunde und jeglichen Gesprächspartner, da er von allen verlassen und im Stich gelassen wird…


  1. Midrasch Wajikra Rabba 16,2 [2]